Ein Arbeitssuchender haette bei mir schlechte Karten

Donnerstag, 3. Februar 2005

Ein Arbeitsuchender hätte bei mir schlechte Karten

"Ein Arbeitsuchender hätte bei mir schlechte Karten"

Organisationschaos in »Arbeitsgemeinschaften« von Arbeitsagentur und Sozialamt. Personal ist unqualifiziert und wird falsch eingesetzt, Technik klappt nicht. Gespräch mit einer »Fallmanagerin«

* Frau X. ist »Fallmanagerin« in einer Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung von Langzeitarbeitslosen in Schleswig-Holstein. Zu ihrem Schutz bleibt sie anonym.

F: Wie ist in Ihrer Behörde der Start von »Hartz IV« verlaufen?

Ähnlich durchwachsen wie wohl überall in Deutschland. Durch einen Computerfehler im Nürnberger Zentralrechner haben viele ihr Arbeitslosengeld II nicht pünktlich erhalten. In den ersten Tagen des Jahres standen die Leute bei uns scharenweise auf der Matte, um sich wenigstens einen Abschlag auszahlen zu lassen.

F: Ging es dabei immer friedlich zu?

Die Leute waren zum Teil verärgert und empört, manche wurden auch laut. Aber zu wüsten Beschimpfungen oder gar Handgreiflichkeiten ist es nicht gekommen.

F: Bis Ende 2004 waren Sie im So-zialamt tätig, seit 1. Januar in einer Arbeitsgemeinschaft, in der die örtliche Arbeitsagentur und die Kommune mit dem Ziel einer besseren Betreuung und effektiven Vermittlung von Langzeitarbeitslosen zusammenarbeiten sollen. Wie hat sich Ihre Arbeit verändert?

Ich bin neuerdings Fallmanagerin. Was ich zu machen habe, hat mit meiner früheren Tätigkeit nichts zu tun. Im Sozialamt war ich Sachbearbeiterin und habe mich in erster Linie um die Prüfung, Bewilligung und Auszahlung von Leistungsanträgen gekümmert. Seit Oktober 2004 war ich fast ausschließlich damit beschäftigt, Anträge auf Arbeitslosengeld II (ALG II) zu bearbeiten. Jetzt soll ich Langzeitarbeitslose in Arbeit vermitteln.

F: Wie hat man Sie auf Ihre neue Tätigkeit vorbereitet?

Gar nicht, ich habe von Arbeitsmarktintegration überhaupt keine Ahnung.

F: Wieso? Es hat doch bestimmt Schulungen gegeben.

Eben nicht. Die soll es irgendwann geben – aber wann, das weiß keiner.

F: Die Bundesregierung rechtfertigt die sogenannten Arbeitsmarktreformen seit Jahr und Tag mit den angeblich verstärkten Vermittlungsbemühungen zugunsten Erwerbsloser. Und jetzt sagen Sie, daß Sie davon keine Ahnung haben …

Genau so ist es, wobei ich nicht für alle Arbeitsgemeinschaften sprechen kann. Was die Sache bei uns aber so absurd macht: Leute mit der entsprechenden Qualifikation sind eigentlich vorhanden, werden aber mit anderen Aufgaben betraut. Bei uns arbeiten sowohl Fallmanager als auch sogenannte Leistungsrechner, die zum größten Teil aus den Sozialämtern und Arbeitsagenturen abgeordnet wurden. Einige stammen auch von der Telekom-Beschäftigungsgesellschaft Vivento. Aus irgendwelchen Gründen werden die nach Vergütungsgruppen eingesetzt. Die Mitarbeiter der Kommunen sind höher eingruppiert als die der Arbeitsämter. Und weil ein Fallmanager höherwertiger ist als ein Leistungsrechner, werden die Mitarbeiter der Kommunen sämtlich als Fallmanager beschäftigt, obwohl ihre Qualifikation eher der eines Leistungsrechners entspricht.

F: Sie müssen also von Amts wegen genau das tun, was Sie nicht gelernt haben?

So kann man das sehen. Bei uns arbeiten neun Sachbearbeiter aus Sozialämtern, die von Arbeitsmarktintegration, also Beratung, Vermittlung und Eingliederung, noch nie etwas gehört haben. Dazu kommen fünf Mitarbeiter aus Arbeitsämtern, die bis vor kurzem noch Vermittler waren. Deren Job ist es nun, die gerade ernannten Fallmanager einzuarbeiten, obwohl sie diese Arbeit mit
ihrer Erfahrung besser machen könnten.

F: Wie läuft die Zusammenarbeit?

Natürlich tun alle ihr Möglichstes. Woran es aber vor allem hapert, ist die Technik. Auf das Intranet der Bundesagentur für Arbeit haben nur die Mitarbeiter der Arbeitsämter Zugriff. Auf dieser Datenbank sind Gesetzestexte, Dienstanweisungen, Informationen und Vordrucke. Wie soll ein frischgebackener Fallmanager seine Arbeit machen, wenn er von den wichtigsten Informationen abgeschnitten ist? Woran es zudem fehlt, sind die Mitarbeiter. Von 42 vorgesehenen Stellen sind meines Wissens nur 34 besetzt. Ob irgendwann aufgestockt wird, ist fraglich. Vor Juni ist allerdings nicht damit zu rechnen.

F: Wie gestaltet sich Ihre Arbeit unter diesen Bedingungen?

Mehr schlecht als recht. Ein Arbeitsloser in meiner Obhut hätte schlechte Karten.

Quelle:
http://www.jungewelt.de/2005/01-13/022.php
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