Mut zur Wut

Mut zur Wut: Statt Hartz IV und 1-EUR-Jobs jetzt fuer 10-EUR-Jobs und
ein vergleichbares Grundeinkommen streiten und mit einem 1-EUR-Job-Streik, Lidl-Besetzungen und einer Belagerung der Tarifverhandlungen im oeffentlichen Dienst kombinieren!

(Entwurf fuer die Sitzung der Montagsdemonstrations-Aktionsbuendnisse am 22.01. 2005 von 11 - 16 Uhr im Gewerkschaftshaus Leipzig). Artikel von Peter Grottian vom 20.01.2005


Die Attacke auf die Arbeitsämter – als Zurichtungsanstalten zu disziplinierender Menschen – war mit der Aktion "Agenturschluß" (3.1.) und den vorhandenen Kräften ein Achtungserfolg. Aber auch die Defizite sind offensichtlich: Keine sichtbaren programmatischen Alternativen, keine Massenmobilisierungspotentiale, keine zureichenden Allianzen von attac, lokalen Protestbündnissen, linker Szene und Gewerkschaftsbasis, keine zuspitzenden Formen des zivilen Ungehorsams. Die Betroffenen waren nur schwach zu mobilisieren. Die Defizite auf der rot-grün-schwarz-gelben-Herrschaftsseite sind aber auch unverkennbar: Die programmierte Erfolglosigkeit der Agenda 2010 im Sinne eines täuschenden Wachstums-, Beschäftigungs-, Einspar- und menschlichen Betreuungsversprechens. Die Menschen sind weiter tief verunsichert – sie misstrauen mehrheitlich den angeblich positiven Wirkungen von Hartz IV, aber sie glauben auch nicht mehr an die Veränderungskraft von Latsch-Demonstrationen. Hartz IV ist entgegen der Meinung der politischen Klasse mitnichten "durch". Nach seinen selbst gesetzten und verfehlten Zielen müsste Clement vermutlich ab Mai/Juni seine Koffer packen.

Die Sozialprotest-Initiativen werden aus ihrer Defensive nur herauskommen, wenn sie ein einheitsstiftendes Protestziel entwickeln und damit unterschiedliche Protesttypen verbinden. Sie müssen die Chance haben, Teile der Gewerkschaftsbasis, der Montagsdemonstrierenden, der Basisgliederungen von Wohlfahrtsverbänden und Kirchen im Protest zu binden.

Nach wie vor sind die unorganisierten, aber höchst betroffenen Menschen unsere wichtigsten Adressaten – denen wir aber auch etwas anbieten müssen und Raum für lokale, regionale und bundesweite Aktivitäten des Eigensinns lässt. Folgende vorläufige strategische Orientierung könnte angemessen und mit intensiver Vorbereitung bis zum Mai 2005 auch realisierbar sein:

1. 10-€-Jobs – als gesellschaftlich sinnvolle Arbeit oder als Grundeinkommen

Die Betroffenen eint die Perspektive, dass sie entweder ohne Erwerbsarbeit menschenwürdig leben oder mit gesellschaftlich einigermaßen sinnvoller Arbeit materiell ohne Existenzangst und Zwang arbeiten wollen. Das ist nur gegeben, wenn wir für diese doppelte Option menschenwürdigen Lebens kämpfen: Existenzabsichernde, möglichst selbstbestimmte Arbeitsplätze und ein Grundeinkommen, das seinen Namen i. S. einer Freiheit von Angst und bürokratischer Zurichtung verdient.

Die Forderung nach 10-€-Jobs in dieser doppelten Perspektive wäre ein Projekt, das Hartz IV-Betroffene, 1-€-Jobber und "Hungerlöhner" verbinden könnte. Es wäre wohl die einzig mögliche Kampfansage an einen sich brutalst entwickelnden Niedriglohnsektor, bei dem bereits Stundenlöhne von 2-€ gezahlt werden. 10-€-Jobs wären schon jetzt ganz überwiegend zu finanzieren, wenn die 500-€-Prämie für die 1-€-Träger fast ausschließlich den Menschen zugute kämen. Von wegen kein Geld! Diese Forderung nach 10-€-Jobs wäre aber auch eine Herausforderung an die Gewerkschaften, in deren Reihen ein "vernünftiger Mindestlohn" von einer Minderheit propagiert wird. Die 10-€-Forderung wäre aber auch für die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst eine Provokation, da hier ver.di, die öffentlichen Arbeitgeber und der Beamtenbund eine Parallelstruktur von normalen Tarifverhandlungen und massenhaften 1-€-Jobs zulassen wollen, ohne überhaupt zu thematisieren: Eine radikale Verbesserung der 1-€-Job-Bedingungen gehört auf den Tisch der öffentlichen Tarifverhandlungen. Schließlich wäre die 10-€-Forderung zwischen den verschiedenen Protestgruppen im Prinzip konsensfähig. Der wichtigste Punkt aber wäre: die Protestierenden hätten ein ganz konkretes Protestziel, das sie als gerecht und angemessen halten können: Eine selbst gesuchte Arbeit ohne Zwang, mit Arbeitsfeldern nach gesellschaftlichem Bedarf und zu Sozialstandards, die menschrechtlich vertretbar sind.

2. Streik der 1-€-Jobber zur NRW-Landtagswahl

Es spricht einiges dafür, dass sich das positive Image der 1-€-Jobs bald verflüchtigen wird. Die jetzt in den Medien vorgeführten "glücklichen 1-€-Jobber" haben bisher ihre Tätigkeiten relativ frei wählen können. In diesen Wochen setzt eine fallmanagergesteuerte, nach neuen Zumutbarkeitskriterien operierende Zwangs-1-€-Job-Vermittlung ein, die mit den Arbeitswünschen der Betroffenen wenig zu tun haben werden. Deshalb ist es notwendig, die Selbstorganisationsversuche der 1-€-Jobber zu unterstützen, Beratungs- und Infrastrukturleistungen anzubieten. Mit ihnen ist zu klären, ob eine gezielte Arbeitsniederlegung mit der Forderung nach einem 10-€-Job von ihnen getragen werden kann.

Eine solche Arbeitsniederlegung wäre knapp vor der Landtagswahl in NRW (22.5.) mit dem 20.5. gut plaziert. Natürlich ist gründlich und verantwortlich über die Arbeitsniederlegung und die zu erwartenden Repressionen (Rausschmiß) nachzudenken. Es spricht einiges dafür, dass eine mehrstündige Arbeitsniederlegung nicht mit harten Repressionen geahndet werden wird. Die Lehmanns und Hubers der beiden Kirchen können einen solchen inneren Konflikt kaum riskieren. Die Basis murrt ohnehin wegen des kirchlichen Agenda-2010-Gehorsams.

3. Belagerung der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst – 10-€-Jobs auf die Tagesordnung von Schily und Bsirske – subito!

Abweichend vom üblichen Ritual gehen Gewerkschaften und öffentliche Arbeitgeber nicht mit den üblichen Tarifprozente-Forderungen in die Verhandlungen: hier 3 – 4 %, dort 0-Runde. Sie wollen die ausgehandelte Tarifreform zur leistungsbezogenen Bezahlung u.a. mit den Tarifverhandlungen nebelhaft verrechnen. Das wird erhebliche Konflikte produzieren, weil vieles intransparent und unausgegoren ist. In diesem erkennbaren Chaos ist es deshalb sehr glaubwürdig, die Forderung nach einem beschäftigungspolitischen Signal für die Tarifverhandlungen zu stellen. Was liegt näher als die Forderung nach 10-€- für die Umwandlung der 1-€-Jobs im öffentlichen Dienst, den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden zu fordern. Die Formel könnte etwa lauten 1 % vom verhandlungsfähigen 2 %-Tarifvolumen (1 Mrd. € = 200.000 – 300.000 Vollzeit /Teilzeitarbeitsplätze) für die Umwandlung von 1 €-Jobs in vertretbare Teilzeit-Arbeitsplätze vorzusehen. Dazu würde gehören, zwei Vertreter/innen aus der Erwerbslosen-Initiativen /1-€-Jobber-Selbstorganisationen an den Tarifverhandlungen zu beteiligen. Eine Belagerung durch 1-€-Jobber bei den Tarifverhandlungen müsste dann vermutlich für Ende April/Anfang Mai vor den stets in Anspruch genommenen Nobel-Hotels organisiert werden. Die Chancen für eine öffentliche Thematisierung sind gut: Der Tarifreform-Tarifverhandlungswahnsinn ist in dieser Form schlicht aberwitzig.

4. Lidl-Aktionen: "Lidlschluß"

In diesem Zusammenhang gehört auch Widerstandsfähigkeit gegen jene Unternehmen und Dienstleistungen aufzubauen, die mit den sozialen Grundrechten ihrer Mitarbeiter/innen "wie die Sau" umgehen. Das verdienstvolle von ver.di herausgegebene Schwarz-Buch über Lidl eröffnet eine erste Argumentations- und Materialbasis, auf denen sich provozierend-gehaltvolle Aktionen gegen Lidl, WalMart oder Aldi aufbauen könnten: Störungen, freundliche Übernahmen oder sogar richtige Schließungen. Solche Aktionen werden auch erhebliche Widersprüche und Gegenreaktionen hervorrufen ("wir wollen billig einkaufen"). Aber "Billig" auf Kosten der Beschäftigten hat eine menschenrechtliche Zumutbarkeitsgrenze wie die 1-€-Jobs.

Peter Grottian, 20.01.2005

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