Rekord selbstgestrickt

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Künstliche Aufregung um offizielle Arbeitslosenzahl von fünf Millionen. Clement, Rürup und Co. träumen von »Trendwende«


Die Aufregung ist groß: Erstmals in der Geschichte der BRD hat im Januar die offiziell zugegebene Zahl der Arbeitslosen die Fünf-Millionen-Grenze überschritten. Quer durch alle Parteien überschlugen sich am Mittwoch die Politiker mit gespielter Besorgnis: »Schreckliche Zahlen« (Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement, SPD), »Skandal« (CDU-Chefin Angela Merkel), Kanzler Gerhard Schröder sei an »der wichtigsten Aufgabe für Deutschland gescheitert« (CSU-Chef Edmund Stoiber), »hausgemachte Arbeitslosigkeit« (FDP-Chef Guido Westerwelle).

Sie alle wissen seit langem, daß die Statistik nur einen Teil der Realität widerspiegelt und daß die tatsächliche Zahl der Arbeitslosen über sieben Millionen liegt. Seit dem 1. Januar werden aufgrund der Hartz-Gesetze zumindest die arbeitsfähigen Sozialhilfebezieher auch offiziell mitgerechnet – ein willkommener Anlaß für die bürgerlichen Parteien, sich wieder einmal mit viel Theaterdonner in Szene zu setzen.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg meldete gestern für den Januar 5,037 Millionen Arbeitslose – rund 573000 mehr als im Dezember. BA-Chef Frank-Jürgen Weise erklärte dazu, die Arbeitslosigkeit sei nicht größer geworden, sondern werde durch die Einbeziehung der Sozialhilfeempfänger »umfassender abgebildet«. Clement ging im ZDF einen Schritt weiter: Ohne staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen läge die tatsächliche Arbeitslosigkeit bei etwa 6,5 Millionen.

Bert Rürup, der im März den Vorsitz im Wirtschafts-Sachverständigenrat der Bundesregierung übernimmt, warnte davor, die Zahlen als »arbeitsmarktpolitische Katastrophe« zu deuten. Die Hartz-Gesetze seien richtig, sie würden ihre Wirkung »in dem Maße entfalten, wie die Konjunktur anzieht«. Im Laufe des Jahres sei eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt zu erwarten – ein Versprechen, das Clement schon vor einigen Tagen abgegeben hatte.

Die »Reformen« müßten unbeirrt durchgezogen werden, forderten denn auch Politiker aller bürgerlichen Parteien. Dieter Hundt, Präsident des Bundesverbandes der Arbeitgeber legte noch eins drauf mit seiner Forderung nach weiteren Einschnitten bei den Beschäftigten und bei der Arbeitsmarktpolitik.

Besser als Hundt könne man »die Ignoranz der deutschen Unternehmerelite gegenüber den arbeitenden Menschen nicht unter Beweis stellen«, kritisierte IG-Metall-Chef Jürgen Peters. »Die Arbeitsplatzlücke hat eine Dimension erreicht, die sich nicht durch Mathematik, sondern nur durch einen grundlegenden Wechsel in entscheidenden Feldern der Politik bekämpfen läßt.«

Der Bundesgeschäftsführer der PDS, Rolf Kutzmutz, erinnerte daran, daß Kanzler Schröder sich vor sechs Jahren am Abbau der Arbeitslosigkeit messen lassen wollte. Notwendig seien jetzt politische Konzepte, die nicht die Arbeitslosen, sondern die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen.

Kritische Wirtschaftswissenschaftler hatten mehrfach darauf hingewiesen, daß das von Clement angepeilte Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent keineswegs zu mehr Beschäftigung führt. Sie fordern, der Staat müsse den Binnenmarkt stärken. Die dazu nötigen Konjunkturprogramme müßten durch Kredite oder durch effektivere Unternehmensbesteuerung finanziert werden müßten. Aufgrund zurückgehender Kaufkraft hat der Binnenmarkt jedoch weitere Einbußen erlitten: Ebenfalls gestern teilte das Statistischen Bundesamt mit, der Einzelhandelsumsatz sei im Dezember weiter um 2,7 Prozent zurückgegangen.

Quelle:
http://www.jungewelt.de/2005/02-03/001.php

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